Ungeschminktes zum Geburtstag

„Geld oder Leben“, so hat mir vor Jahren ein geschätzter älterer Kollege das Dilemma beschrieben, in dem er auch selbst steckte. „Entweder zu wenig Zeit und Kraft für das, was einem wirklich am Herzen liegt oder zu wenig Geld.“
Aus welchen Gründen auch immer, mir fiel diese besch… Wahl meist leicht. Gleichzeitig mag ich dieses Dilemma nicht als unauflöslich akzeptieren. Und vermutlich erleben viele Menschen das auch gar nicht so?
Noch einmal, von einer anderen Seite her: facebook schlägt mir zum Geburtstag vor, dass ich eine Spendenaktion für ein soziales Projekt meiner Wahl starten kann. Ich fühle mich nicht in der Position dazu. Sondern brauche Geld für meine eigenen Projekte, um den Lebensunterhalt von meiner Familie und mir zu finanzieren. Dafür zu werben ist mit Schamgefühlen verbunden. Interessant! Denn mittlerweile bin ich mehr dazu bereit, „negative Gefühle“ zu fühlen. Wieso ist mir das teilweise peinlich? Weil es „egoistisch“ ist oder einen Mangel aufdeckt? Das trifft es nicht. Vielleicht eher, weil ich „in mir weiß“, dass diese Projekte nicht selbstlos sind in einem engen Sinne sind, meine Motivation weder ist, die Welt zu retten, noch – in erster Linie – „anderen Menschen“ zu helfen?
Ich tue, was ich tue aber auch nicht „nur für mich“, mehr „aus mir heraus“ und bin überglücklich, wenn es Menschen beglückt. Ich empfinde eine tiefe Freude darin, meine Gaben zu entwickeln und zu geben, sei es nun durch das Schreiben oder durch das Begleiten von Menschen oder von Gruppen von Menschen. „Natürlich“ ist da nicht nur Freude, sondern auch Gefühle von Unsicherheit und von Anstrengung. Und doch ist es das, was ich von Herzen tun will und im Tun erfahre ich immer genauer, WAS ich tun will oder vielleicht sogar, was „durch mich getan und gegeben werden will.“
Das ist weder egoistisch, noch ist es selbstlos.
Es sind Geschenke, die zu entpacken sind. Von mir, indem ich meine Gaben übe und „von der Welt“, indem sie diese Gaben annimmt. Es wird mir immer klarer, dass es nicht mein Verdienst ist, wenn ich etwas gut mache. Buchstäblich alles wirkt daran mit und nichts, was ich zu geben habe, kommt von mir als Person, allenfalls durch mich. Und doch fühle ich eine persönliche Verantwortung, es ist wie ein Antwort-geben auf die Fragen des Lebens. Ein manchmal märchenhaft Schönes – wenn etwas „aufgeht“, ein Mensch oder eine Gruppe eine alte Last auflöst, sich Erleichterung einstellt und ja, Liebe; manchmal bedrückendes „Gespräch“, wenn ich den Eindruck habe, ich finde die stimmige Antwort auf eine Situation in mir nicht und werde auch „von außen“ nicht beantwortet.
Das Alles ist meist sehr reich, auch wenn ich da und dort Mangel empfinde – aber ist es privilegiert, tun zu dürfen, was ich von Herzen tun will? Das fühlt sich auch nicht stimmig an. Privilegien legen Schuldgefühle nahe und diese hemmen ähnlich wie Schamgefühle. Stimmiger ist Dankbarkeit und aus Dankbarkeit wächst leichter die Fähigkeit andere Menschen in ihren Kämpfen wahrzunehmen und zu würdigen. Denn das ist mein „Hauptantrieb“: mich selbst und andere Menschen zu ermutigen und ganz konkret zu begleiten, den jeweils ganz eigenen Weg zu gehen und dem Leben immer mehr zu vertrauen, ohne dabei etwas schönzureden. Weil ich zutiefst glaube, dass wir es viel viel besser miteinander haben, wenn wir unserem „Herzenswillen“ folgen, als wenn wir unsere Sehnsüchte begraben und zu funktionieren beginnen.
Ich habe den Weg noch nicht gefunden (oder bin ihn noch nicht zu Ende gegangen), der verlässlich zu „Geld UND Leben“ führt. Ich fühle mich schon gut abgesichert, wenn ich weiß, dass ich die nächsten drei Monatsmieten zahlen kann – das ist im Moment nicht der Fall – und ich wünsche mir oft nichts sehnlicher, als endlich einen fünfstelligen Betrag auf meinem Konto zu haben (was das letzte Mal vor 10 Jahren der Fall war). Manchmal bin ich stolz darauf, dass ich diesen Weg schon seit so vielen Jahren gehe, mit all seinen Höhen und Tiefen, manchmal überfallen mich Scham, Frustration oder sogar Verzweiflung. Aber in mir wächst die Gewissheit, dass es ein riesiges Land gibt, zwischen dem „in einem System funktionieren müssen“ und „an dem System zerbrechen“. Die älteste Geschichte in meinem Buch „Wege durch die Angst“ beschäftigt sich genau mit diesem Thema und ist mittlerweile weit über 20 Jahre alt. Die jüngste Geschichte habe ich vor wenigen Monaten geschrieben, eben geht das Buch in Druck.
Was ich mir zum Geburtstag wünsche, von dir, falls du Lust haben solltest, mir etwas zu schenken? Dass du dir genug Zeit nimmst, in dir wahrzunehmen, ob eine meiner Gaben gut für dich oder jemand, den du kennst und gern hast, sein könnte. Und falls das der Fall ist, dass du sie annimmst und mir dadurch die Möglichkeit schenkst, weiter und geborgener auf meinem Weg des „Herzwillens“ zu wandeln.
Danke und alles Liebe, Michael

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