Wie viel Geduld braucht der Wandel? DRITTER TEIL

Der Wandel lief also nicht nach “Plan”. Im Gegenteil, Gegenwind frischte auf und meinem Eindruck nach stagnierte die Lage in den Wandelprojekten, die ich gut kannte und liebte. “Natürlich” ist es dort freier als in “Mainstream-Feldern”, es geht weniger steif zu, eine Meditation anzuleiten ist kein Kulturbruch sondern selbstverständlich, man darf sich die Schuhe ausziehen, wenn einem danach ist und der Traum von letzter Nacht kann ebenso Bedeutung haben wie der Response auf den letzten Newsletter, jedenfalls in Projekten, die es ernst meinen mit der Ganzheitlichkeit. Vielleicht stagnierten diese Projekte und Gruppen auch gar nicht, sondern ich; meine Entwicklung in ihnen und durch sie und vielleicht hielt ich sie damit auf. Abstimmungsprozesse empfand ich zusehends als mühsam, vor allem wenn sie radikale Ideen nivellierten. Und oft hatte ich den Eindruck, auch hier geht es vor allem darum, “gut dazustehen”. Im Mainstream gibt es Normbilder, denen “man” entsprechen sollte, in den Wandelprojekten sind es Idealbilder, denen “man” nacheifert. Vielleicht war es auch so, dass ich mir ein Bild gemacht hatte und selbst zu einem Bild erstarrt war, mich nach einer Transformation sehnte, die ich in den vertrauten Strukturen nicht vollziehen konnte.

Ich legte die Geschichte vom großen Wandel beiseite, vom neuen Miteinander und der neuen Welt, die dadurch entsteht, ich verließ noch vor der “Corona-Zeit” geliebte Projekte wie das von mir initiierte TAU-Magazin und “meine” Männergruppe Yam und ging wieder einmal in die Wüste, sprichwörtlich gesehen. Ich blieb dabei größtenteils gut und liebevoll verbunden mit den Menschen in diesen Projekten, wofür ich zutiefst dankbar bin. VEREINZELUNG ist ein Wort, das mir seither immer besser gefällt. Ein Einzelner werden.

Dabei ist mir sonnenklar, dass wir einzeln gar nicht existieren können, dass es genau diese Sichtweise von abgetrennten Individuen und der in Kategorien eingeteilten “dinglichen Welt” ist, die es zu wandeln gilt. Aber der Weg oder jedenfalls mein Weg führt wieder und wieder über die Vereinzelung. Wie sehe und empfinde ich dies oder das, wenn ich, gesättigt von Austausch und Information über ein Thema, ganz zu mir komme? Wie sehe ich es, nicht wie sollte ich es sehen? Dabei — und hier wird es scheinbar vollends absurd — beginne “ich” mich als “Ego” aufzulösen, wenn ich ganz zu mir komme. Ich werde zum Lauschenden in ein grenzenloses Innen hinein, dass sich so unergründlich und so zu Hause anfühlt. Aus diesem “Innen” komme “ich” wieder an die Oberfläche, oft mit Inspirationen oder Klarheiten ausgestattet, die “für diese Welt” bestimmt sind und gelebt und geteilt werden wollen.

 

Die “große Transformation” findet statt, davon bin ich mittlerweile wieder überzeugt. Vielleicht findet sie auch immer statt, aber es ist doch eine Zeit, in der sich unverkennbar “alles” zuspitzt. In der sich zeigt, wer sich woran orientiert und festhält, wenn der “Wind des Wandels” an Stärke zulegt. Und wenn sich einer oder eine nicht einlassen will, auf diese Unendlichkeit in ihm oder ihr selbst, auf diese Heimat, die nur gefühlt und nie gefasst werden kann, dann kann es unendlich eng werden. Dann bin ich, dann bist du empfänglich für (Selbst-)Manipulation und (Selbst-)Täuschung und für das Vertrauen in äußere Autoritäten, die sich doch unzählige Male als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben.

Wahrheit braucht keinen großen Aufwand, sie braucht keine aufgeblasenen Kampagnen, sie muss nichts und niemanden unterdrücken oder zu etwas verlocken oder zwingen. Sie kann gut mit Widersprüchen leben, weil sie so viele Aspekte hat, weil sie so groß ist und gleichzeitig so einfach. Und doch ist sie konsistent! Sie ist nie zu fassen, sie entzieht sich verlässlich unserem Denken. Sobald du die Wahrheit hast, ist sie schon wieder fort.

Ich glaube, der große Wandel folgt keinem wie auch immer gearteten menschlichen Plan und er besteht aus lauter scheinbaren Kleinigkeiten. Du wirst Teil davon, wenn du deine Konstrukte und Vorstellungen als “Spielzeug” zu sehen beginnst, das der Wirklichkeit nie gerecht werden kann. Wenn du dich mehr und mehr dem Unbegreiflichen zuwendest und “ihm” zu vertrauen beginnst. Und wenn du beginnst dich mit all dem Ungeliebten in vertraut zu machen und zu befreunden — und ihm dabei sein Geheimnis lässt.

All das mag für manche widersprüchlich, vage und abstrakt klingen — aber es ist viel klarer und konkreter als es die Konstruktionen des “Verstandes” je sein könnten. Durch die “Corona-Zeit” hat sich gezeigt, dass die momentan herrschende eingeengte Pseudo-Rationalität riesige Logiklöcher aufreißt und sich mit diesen nicht konfrontiert. Es ist eine Vorführung, wozu fehlende Integrität, die Vermeidung wirklich zu fühlen und das Klammern an starren “Wahrheiten” führt: eine absurde, vergiftete, krank machende Clownswelt, die man nur ernst nehmen kann, wenn man noch Teil von ihr ist, wenn man zu viel der eigenen Identität in sie “investiert”.

Ich hoffe, dass all das nicht wieder als unerfüllbarer Anspruch, als Idealbild ankommt, dem “mensch” zu entsprechen hat. Du musst kein Held, keine Heldin sein. Im Grunde genügt es, auf die Jesus-Worte aus dem Thomas-Evangelium zu hören: “Erzählt keine Lügen und tut nicht was ihr hasst […]”

Mich hat der Weg durch die Wüste dazu geführt, unmögliche Reisen anzubieten und ein Buch mit dem (Arbeits-)Titel Geisterbahn Exit - Wege durch die Angst zusammenzustellen und ich weiß nicht, was noch alles kommen wird. Manchmal bin ich ungeduldig, wenn ich sehe, wie viele Gesichter Masken sind, wenn ich sehe, in welch starren Modi Bildung, Arbeit, Politik, Wissenschaft, Medien und Gesundheitswesen gefangen sind und sich und uns gefangen halten mit aller Gewalt; manchmal bin ich ungeduldig, wenn ich sehe, wie ich selbst an Gewohnheiten festhalte, deren Schädlichkeit ich “eigentlich” längst verstanden habe — und manchmal brauche ich keine Geduld für den Wandel, weil ich nirgends hin will, außer näher zu mir, näher zu dir — und dazu braucht es keine “Angststrengung”, sondern Hingabe.

Dieser Weg führt weiter und weiter weg, von dem, was “man” “normal” nennt, ohne dass man dann etwas Außergewöhnliches — im Sinne von auffällig — tut oder tun muss. Es genügt ja heutzutage schon, sich auf das eigene Empfinden und Wahrnehmen einzulassen und zu verlassen, um zum “Staatsfeind” erklärt zu werden. Zu erkennen, dass wir in einer verdrehten, lebensfeindlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit leben, deren Werte nicht der Rede wert sind, verlangt einiges an Mut und vor allem Selbst-Liebe. Noch mehr davon braucht es, wenn du erkennst, dass die meisten angebotenen Alternativen kaum besser oder noch schlimmer sind, als der Hauptstrom. Es ist eine große Ernüchterung, die durch das Anerkennen solcher innerer Wahrheiten aufkommt; aber erst, wenn diese Ernüchterung sein darf, und nicht gleich wieder überdeckt werden muss von Ablenkungen oder “Großartigkeiten”, kann sich ein weiteres Feld öffnen, in dem so etwas wie Hoffnung gedeiht.

Eine Hoffnung, die kein Strohfeuer ist, die nicht auf einem genialen Plan fußt oder einer Projektion auf eine neue, tolle Gruppe oder ein neues, weltverwandelndes Projekt. Es ist mehr eine Gegenwärtigkeit, ein ruhig werden können und lauschen können, ein Wertschätzen der scheinbar kleinen, alltäglichen Dinge. Ein das Leben fließen lassen und hier mag etwas zusammen fließen und da fühlt sich etwas gut an und deswegen mache ich das und siehe da, ist das nicht zauberhaft geworden?

Es geht wirklich um Hingabe, nicht um “machen”, weißt du?

 

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