Wie viel Geduld braucht der Wandel? ERSTER TEIL

Am 1. 11. 2022 — was für ein bezauberndes Datum — ist das Labor für Kulturtransformation genau 11 Jahre alt geworden, jedenfalls formell. Was war das für eine Zeit, in der ich den Schritt in die berufliche Selbständigkeit wagte, was hat mir die Courage und die Inspiration dafür geschenkt und wie sieht es heute mit dem kulturellen Wandel, der großen Transformation aus, an der mitzuwirken ich mich gerufen und berufen fühle?

 

2011 und noch mehr die Jahre davor waren für mich eine Zeit eines intensiven Umbruchs und Aufbruchs, der meine persönliche Ebene massiv betraf UND über sie hinausging oder hinauszugehen schien. Die Form, die mein Leben zuvor angenommen hatte, war zerbrochen - von der (halbwegs) normalen Kernfamilie am Land zum Patchwork in der Stadt, aber diese Begriffe können die damit verbundenen Bewegungen, die Schmerzen und die Öffnungen nicht würdigen, deshalb greife ich nur einen Aspekt daraus hervor: Ich hatte versucht an einem Bild festzuhalten, das weniger und weniger stimmte — und als es zerbrach, war das nicht das befürchtete Ende des guten Lebens, sondern das Öffnen eines neuen, viel weiteren Raumes. Nicht weil ich glaube, das Patchwork besser wäre als eine andere Familienform, oh nein! — sondern weil ich erfahren musste, erfahren durfte, dass es besser ist, mit dem Leben zu fließen, auch wenn es in eine Richtung geht, die mir zutiefst Angst macht, die Schmerzen und massive Umstellungen und Verlust hervorbringt, auch für Menschen, für die ich Verantwortung habe, für meine geliebten Kinder — dass ich dennoch vertrauen darf, auch wenn es dunkel um mich wird.

 

Ich nannte diesen Prozess, in dem ich erst auf mein Wesentliches reduziert wurde und durch die Wüste zu gehen hatte, den Weg vom grauen Land ins Zauberland und damit meine ich eben nicht die Form von Familienleben und Nachbarschaft, die sich massiv veränderte — Patchwork und Stadt ist in manchem bunter, in anderem grauer als Kleinfamilie und Land — sondern die innere Landschaft der Überzeugungen, das Festhalten an überlebten Bildern, an Normen, an dem “was sich gehört”, “wie man Dinge zu tun hat und wie nicht”, die Orientierung an äußeren und inneren Regeln, die das Leben grau färben. Dieser Weg führte mich durch die Einsamkeit, das Wegbrechen oder Ausdünnen auch von zahlreichen freundschaftlichen Beziehungen hin zu neuen Freundschaften und Gemeinschaften, die besser zu dem passten, der ich im Begriff war zu werden.

 

Es sind dies Zeiten, in denen einem der Schleier vor Augen und Herz weggezogen wird und man sich (wieder) gemeint fühlt, vom Leben, erstaunlicherweise auch und gerade, wenn es nicht so läuft, wie geplant. In dem man wieder geöffnet wird für das Jetzt, weil die Zukunft nicht klar ist. In dem man, eben wie im Zauberland, wie im Märchen, mit allem und allen in seinem Leben in Beziehung, in Dialog kommt oder es wieder so erleben darf. Und wenn das Herz offen ist, sich berühren lässt und berührt, dann erneuert sich das Leben. Die damit verbundene Unsicherheit und Schrecken wollen die meisten Menschen — auch ich, oh ja! — am Liebsten vermeiden; aber der Preis dafür ist sehr hoch. Aus dem Wunsch, die Gefahren der Lebendigkeit zu vermeiden, färbt sich das innere Land grau — und damit, früher oder später, auch das äußere (Er-)leben.

 

Aus dem Bruch, dem Umbruch wurde ein Aufbruch und er fühlte sich unaufhaltsam an. Die Zeit, in der wir Normen und starre Bilder über den lebendigen Austausch stellten, würde an ihr Ende kommen und zwar bald, das spürten wir (denn ich fühlte mich damals als Teil eines wir, einer weltweiten Transformationsbewegung, die mehr innerlich als äußerlich verbunden war), das fühlten wir und dazu wollten wir beitragen, mit einer neuen Lernkultur — ich wurde Teil eines sich selbst organisierenden Erwachsenen-Lernnetzwerkes namens Lebenskreis, aus dem heraus ich das besagte Labor für Kulturtransformation und — gemeinsam mit anderen — TAU, das Magazin für Barfußpolitik begründet habe, das ebenfalls bis heute besteht und die Initiativen und Elemente dieses Wandels sichtbar und fühlbar macht und immer wieder frisch ergründet, auf dass aus dem Tauen vereister Strukturen und Herzen und Körper nicht wieder ein Gedankengebäude wird, das die Lebendigkeit fürchtet.

 

Was ist aus diesem Aufbruch, aus diesem Vertrauen geworden, dass sich die Kultur transformieren würde, lebendiger, lebensfreundlicher, herz-orientierter, ganzheitlicher werden würde — mit “freien Schulen”, Grundeinkommen, Permakultur, nachhaltigem Verkehr und Wohnen, menschengerechter Wirtschaft, undogmatischer Spiritualität, dass sich die scheinbar feindlichen Gegensätze von mehr Individualität und mehr Zusammenhalt auf einer weiteren Ebene verbinden und gegenseitig bedingen würden? Wie sieht es damit aus, mehr als ein Jahrzehnt später, in einer Zeit, die mehr von Weltuntergang als von Weltübergang zu erzählen scheint?

 

War das einfach nur naiv oder braucht es noch etwas Zeit, etwas Geduld? Oder waren auch diese Bilder noch zu sehr aus der Vorstellungswelt des Verstandes gespeist, aus dem, wie es sein soll, anstatt dass “wir” wirklich dem Lebensfluss vertrauten?

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