Er-Finde die Schönheit, die du in der Welt sehen willst!

Oder: wo liegt die wirksame Quelle für Transformation?

 

Wenn wir Dinge in der Welt sehen, die wir hässlich, falsch oder böse finden, wollen wir sie verändern oder verändert haben. Wie wir dabei vorgehen, was wir für wirksam halten, hängt davon ab, wie wir unsere Beziehung zur Welt verstehen.

Das ist DER entscheidende Punkt.

Und eine sehr heikle Frage.

 

Glaube ich, dass die Welt außerhalb von mir liegt und ich mich in ihr bewege?

Dann kann ich etwas verändern, indem ich mit voller Kraft nach außen wirke – also »klassischer« Aktivismus.

Mit der Zeit werde ich vermutlich merken, dass die Auseinandersetzung zwischen meinen Vorstellungen, wie es sein sollte und der Welt wie sie ist vor allem mich selbst verwandelt.

Mir ist es vor über 20 Jahren so gegangen, als ich mich aus tiefer Empörung über das herrschende Asylrecht für Flüchtlinge in Wien eingesetzt habe und dabei an sehr hässliche Orte gekommen bin: die Wiener Schubhaftgefängnisse. Es war ebenso wichtig wie schmerzhaft dort zu sein, Ohnmacht, Frustration und Solidarität zu empfinden, Zahnbürsten, Seifen und Rechtsberatung zu bringen, Hände zu schütteln, Menschen anzulächeln, Geschichten zu hören und öffentlich kreativ auf die Missstände aufmerksam zu machen durch Lesungen von absurden Bescheiden etcetera. Es war auch seltsam durch das schöne Wien zu gehen, um diese hässlichen Orte zu wissen und doch nur einen beschränkten Teil meiner Zeit und Energie auf »Verbesserung der Situation« zu verwenden.

Oder bei meinem Friedensdienst (Auslandszivildienst) im vom Krieg zerbombten Vukovar, wo ich ebensoviel Schönes wie Hässliches gefunden habe und vor allem auf mich selbst zurückgeworfen war und Freunde und Freundinnen und Erkenntnisse und neue Lebendigkeit gewonnen habe.

 

Diese und viele andere Erlebnisse haben mich skeptisch gemacht gegenüber der einen »richtigen« Sicht auf die Welt. Gibt es »die Welt« unabhängig von meiner Sicht auf sie überhaupt, in einem "objektiven Sinn"? Ein Bild dazu: Wenn einem der Film nicht passt, den man sich ansieht, wo versucht man etwas zu verändern: Auf der Leinwand oder am Projektor?

 

David Bohm, Quantenphysiker, hat die Methode des Dialogs bekannt gemacht, in der es nicht darum geht, oberflächlich Positionen gegeneinander in Stellung zu bringen, sondern auf die Sprache und die Wahrnehmungsmuster selbst zu achten, die die Probleme erst erzeugen, die wir in der Welt so verzweifelt zu lösen versuchen. Es ist, als ob man sich innerlich umdreht und versucht zu begreifen, wie wir Welt erschaffen. (Ich arbeite seit vielen Jahren mit dem Dialog in Organisationen, Teams und Trainings, nunmehr weniger als Aktivist sondern als Prozessbegleiter)

 

Die Welt ist in dieser Sicht nicht mehr »da draußen«, sie wird von uns mit-erschaffen (ko-kreiert).

 Aus dieser Perspektive werde ich nicht klassisch nach außen wirken, um etwas zu verändern, sondern mich mir und meiner Konstruktion von Welt zuwenden.  Beobachter und Beobachtetes sind nicht länger voneinander unabhängig.

 

So weit, so bekannt? Be the change you want to see in the world!

 

Ja, aber was bedeutet das für mein konkretes Handeln? Sehr zugespitzt: Reicht es in Redekreisen zu reflektieren, anstatt – organisiert! – auf die Straße und an »hässliche Orte« zu gehen?

 

 Eine erste mögliche Antwort: mein Wirklichkeitsverständnis, mit dem ich aktiv bin, ist wesentlich – agiere ich in der Geschichte des »Kampfes für eine bessere Welt?« Dazu fällt mir der Spruch ein, den ich mal auf einer Bushaltestelle gelesen habe: fighting for peace is like fucking for virginity!

 

Kann ich also mit friedlichem Geist eher eine friedliche Welt mit-erschaffen?

 

Die »Evolution der Widerstandsformen« empfinde ich hier als tröstlich. Beispielsweise der Aufstand der Zapatisten in Chiapas, die keinen maximo lider mehr hatten, sondern die Kunstfigur des Subcommandante Marcos einführten; die nicht mehr an die Spitze der Macht kommen wollten, im naiven Glauben daran, von dort aus alles besser zu machen – sondern die Gewaltstrukturen »abwickeln« wollten. Oder auch die Donnerstagsdemos vor 18 Jahren, die keine strenge Organisation mit gleichförmigen Parolen mehr kannten, sondern friedliche bunte »Spaziergänge« waren. Und die heutigen Donnerstagsdemos haben sich wieder weiter entwickelt, ebenso die Protestformen von Extinction Rebellion usw. Weniger Feindbilder (naja, obwohl…) und mehr achtsame und kreative und partizipative und ganzheitliche Kommunikation innerhalb und außerhalb.

 

Das führt mich zu Charles Eisenstein, einem der Vordenker von Occupy (laut Wikipedia), der in seinen Vorträgen und Texten einen großen Schritt weiter geht: Es ist die grundlegende Geschichte der Trennung, die »naturwissenschaftliche« Geschichte vom dem Tode geweihten Universum, in dem wir als zufällig entstandene separate Lebewesen eine kurze und im Grunde sinnlose Existenz erleben… es ist diese düstere angstbesetzte gierauslösende Geschichte, die zunehmend destruktiv wird und die wir durch eine andere, neu-alte Geschichte der zunehmenden Lebendigkeit ersetzen dürfen.

 

Wirksames Handeln liegt in dieser Sicht nicht nur im Protest oder im erschaffen neuer Strukturen, sondern darin, welche Geschichte ich MIR SELBST und anderen über das Leben erzähle – durch meine Worte und meine Taten!

 

Denn: Die Geschichte, die wir über die Welt erzählen, bestimmt unsere Welt und unser Handeln. Mein Verständnis von der Wirklichkeit, nicht nur mental, sondern in der Tiefe meines alltäglichen Erlebens – DAS ist der Schlüssel für eine wirksame Veränderung der Welt! Aus diesem Verständnis erwächst meine Art der Aktion und ob diese die Trennung vertieft oder aufhebt.

 

Aus meinem anderen beruflichen Feld neben dem Schreiben, der Begleitung von Teams und Organisationen her gesprochen: Es ist ein großer Unterschied, ob ich Organisationen als »Maschinen« und die Menschen darin als »Rädchen« begreife, oder »lebendige Strukturen mit ganzen Menschen« sehe. Es verändert die Kommunikation, die Stimmung, die Ergebnisse drastisch zum Positiven.

 

Es geht aber noch weiter, wenn wir wollen – oder können. Nicht die Geschichte ändern, sondern die Geschichte FALLENLASSEN. Wer wärest du ohne deine Geschichte, fragt – zum Beispiel – Byron Katie und viele andere erwachte oder »erwachte« Menschen. Hier wird »die Welt« zu meiner Projektion – und solange ich glaube, etwas in ihr sollte anders sein als es ist, liege ich »im Krieg mit der Wirklichkeit« und erzeuge noch mehr Leid, anstatt es zu mindern. Wenn ich meine Gedanken prüfe, erkenne ich die Wirklichkeit als schön und gütig – auch in ihren scheinbar schrecklichen Aspekten! Der »Fehler« liegt also in der Identifikation mit mir als Person und in meinen Gedanken über die Wirklichkeit. DIES aufzuheben ist der wahrhaft wirksame Schlüssel zur Verwandlung der Welt.

 

Aber: Endet, wenn wir das glauben, nicht unser Engagement?

 

Dazu ein Zitat aus ihrem Buch »Eintausend Namen für Freude«:

 

Ich höre oft, dass sich Menschen an ihre schmerzlichen Gedanken klammern, weil sie fürchten, sich sonst nicht mehr für den Frieden zu engagieren. »Wenn ich in vollkommenem Frieden lebte«, fragen sie, »weshalb sollte ich mir dann die Mühe machen, irgendetwas zu tun?« Dann antworte ich: »Weil die Liebe das eben tut.« Es ist verrückt zu glauben, wir müssten uns mit Trauer und Wut dazu motivieren, das Richtige zu tun. Als verlöre man an Güte, je klarer und glücklicher man wird. Als säße eine Frau, die ihre Freiheit gefunden hat, den ganzen Tag herum, und der Sabber liefe ihr aus dem Mund. Ich habe das Gegenteil erlebt. Liebe ist Tun. Sie ist klar, sie ist gütig, sie ist mühelos und unwiderstehlich.

 

Ich finde das zeigt auch sehr schön die Gefahr, die darin besteht, diese Weltsicht oberflächlich zu übernehmen, als Konzept, ohne »verwirklicht« zu sein. Dann bin ich vielleicht versucht, meine Arme im Schoß zu versenken, mir zu sagen, dass alles gut sei, wie es ist und dass ich mehr wisse, als der Großteil der »anderen Menschen, die noch schlafen.«

 

Ich kenne diese Gefahr. Und ich finde es wesentlich, zu kämpfen, solange man kämpfen muss, mit allem was man ist; sich getrennt zu fühlen, solange man sich getrennt fühlt und es nicht zu leugnen. Oder an einer freundlichen Geschichte mitzuweben, weil mensch dies als gute Grundlage für Verwandlung erkannt hat und (noch) nicht vollständig ins »Nicht-Wissen« zu gehen vermag – auch weil das etwas ist, das »man nicht tun kann.«

 

Und: Ich bin dankbar für diesen Leitstern, dass "eigentlich" alles schön ist und übe mich darin, nicht nur den Film »Welt« zu betrachten und in diesem mitzuspielen, nicht nur an der Geschichte einer durch und durch lebendigen Welt mitzuschreiben, sondern immer wieder mich »umzudrehen« und die Quelle all dessen zu »finden«:

 

Die Schönheit er-finden, die ich in der Welt sehen will und nach der ich mich sehne.

 

Sie ist da. Und da.

 

PS: Kann es eine politische, organisierte Bewegung geben, die im Bewusstsein verankert ist, dass die Welt vollkommen ist - und sie gerade dadurch transformieren?

Ich freue mich über einen Dialog dazu!

 

Michael Nußbaumer

 

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